Beate und Oliver verdienen ihren Lebensunterhalt als Krav Maga Lehrer. Hier geben sie Tipps zur effektiven Selbstverteidung (nicht nur) auf Reisen.
Beate und Oliver haben wir in Elea, Griechenland kennengelernt. Wie auch wir waren die beiden dort mit dem Wohnmobil unterwegs. Einen Nachmittag lang haben wir uns über ihre Arbeit unterhalten und dabei Interessantes erfahren: Denn von Krav Maga hatten wir vorher noch nie etwas gehört!
Beate und Oliver lehren Selbstverteidigung im Krav Maga Center Frankfurt am Main.
Krav Maga ist eine Selbstverteidigungs- und Kampfmethode. Ziel dabei ist stets eine Auseinandersetzung möglichst unbeschadet zu überstehen. Es ist effektive Selbstverteidigung, die einfach zu erlernen und auszuüben ist.
Effektive Selbstverteidung für Reisende
ein Gastartikel von Oliver Bechmann
Die Welt ist ein besserer Ort als man glaubt, vor Ort sieht es häufig anders aus als im Fernsehen.
Von dieser Erfahrung berichten Fernreisende und Globetrotter durchgängig.
Weltenbummler wissen viel davon zu erzählen, wie freundlich und hilfsbereit gerade die Menschen in den armen Regionen der Welt sind; wie sehr diese Menschen bereit sind, ihr wenig Hab und Gut zu teilen. Und dass Habgier, Neid, Missgunst und Kriminalität eher in den Städten bzw. in wohlhabenderem Umfeld entstehen.
Wer in die Ferne reist und von Ort zu Ort zieht, setzt sich freilich dem Risiko des Nomaden aus – er ist mehr oder weniger alleine und dem ausgeliefert, was um ihn herum geschieht. Nomaden wiederum sind seit alters her in den Augen von Städtern beziehungsweise fest Angesiedelten eine Gefahr gewesen – Landstreicher sieht der Ortsgebundene in frei vagabundierenden Menschen.
Fernreisende freilich kommen nicht auf einen Raubzug vorbei (wie manche Beduinenstämme früher im Nahen Osten), sondern sind freundlich, friedlich und neugierig, wollen Land und Leute kennenlernen.
Wenn die Situation entgleitet
Kein Wunder also, dass Fernreisende ganz überwiegend von fantastischen Begegnungen mit lieben Menschen in aller Welt berichten, und dass Problemsituationen nur sehr selten auftauchen.
Aber sie existieren, und aus einem kommunikativen Missverständnis kann sich schnell eine unheilvolle Dynamik entwickeln, die in eine gewalttätige Situation entgleitet.
In manchen Regionen der Welt reicht es schon aus, bei der Durchfahrt durch ein entlegenes Bergdorf ein Nutztier wie ein Huhn mit dem Geländewagen zu überfahren. Schlimmer noch: Nicht selten rennen oder werfen sich Kinder vors Fahrzeug, um zu betteln.
Selbstverteidigungs-Workshop für Fernreisende mit Fahrzeugen
Wir verdienen unseren Lebensunterhalt als Selbstverteidigungslehrer und Besitzer einer Krav Maga-Schule in Offenbach – und sind ebenso Reisende. Mit unserem Unimog sind wir in abgelegene Ecken süd- und südosteuropäischer Länder gefahren, mehrmals durch Marokko, einmal durch Island. Daher geben wir auch Unterricht für Fernmobilreisende.
Selbstverständlich gilt, dass erst alle Mittel und Möglichkeiten der Kommunikation und Deeskalation ausgeschöpft sein müssen, bevor man zur physischen Selbstverteidigung greift – gleichwohl eine unmittelbar gegebene ernsthafte Bedrohung bzw. Gefährdung von Leib und Leben. Dies gilt immer und überall; aber in fernen Regionen umso mehr, als eine Überreaktion dazu führen kann, sich im Knast eines Landes für längere Zeit aufzuhalten, dessen Gefängnis-Standards mit denen der Bundesrepublik Deutschland nicht zu vergleichen sind.
Waffen verschlimmern die Situation
Gleichermaßen ist das Mitführen von Waffen oder waffenartigen Gegenständen zu sehen – wer dem Aggressor mit Waffen schwere oder tödliche Verletzungen zufügt, hat seine Situation in der Folge dramatisch verschlechtert.
Und das eigentliche Ziel der Selbstverteidigung sollte sein, den geringstmöglichen notwendigen Schaden zu verursachen und den Weg zurück zur Kommunikation und zur gütlichen Einigung eines Konfliktes wieder zu öffnen.
Wir selbst haben einen sich hochschaukelnden Aufruhr erlebt, bloß weil einer der Lkws unseres Konvois in einer engen Straße einem parkenden Fahrzeug einen Außenspiegel demoliert hatte – letztlich konnte die Aufregung mit einer Geldzahlung gelegt werden.
Entweichen wäre nicht möglich gewesen – unser kleiner Fahrzeugkonvoi war vorne und hinten eingeklemmt, und es liefen immer mehr Ortsansässige zusammen…
Alltagsgegenstände sind Trumpf
Waffen oder waffenartige Gegenstände schaffen auch leicht Probleme bei Grenz- oder anderen Polizei- oder Militärkontrollen, die in manchen Ländern Afrikas oder Asiens an der Tagesordnung sind.
An Bord eines geländegängigen Fernreisemobils (mit dem man gerne frei campiert) befinden sich aber eine Reihe von Gegenständen, deren Zweckbestimmung mit dem Fahrzeug oder dem Reisen zu tun hat und die selten Misstrauen erregen – und die sehr gut als defensive Hilfsmittel eingesetzt werden können:
Große Taschenlampen, Rad-Montiereisen, Brechstangen, Teleskop- oder hölzerne Wanderstöcke, Regenschirme, abschraubbare Tischbeine, einbeinige Foto-Stative, Flaggenstöcke, ganz zu schweigen von Äxten, Beilen oder Macheten (deren Einsatz aber unter das zuvor geschilderte Problem „Waffen“ fällt – besser Finger davon lassen oder nur im äußersten Notfall benutzen!).
Im Krav Maga sprechen wir von solcherlei Gegenständen als „common objects“, also Alltagsgegenständen, und der Umgang damit ist fester Bestandteil des üblichen Trainings. Dabei gehen wir immer davon aus, dass es besser ist, einen solchen Gegenstand zwischen sich und den Angreifer zu bringen, als eigene verletzliche Körperteile wie Arme und Beine. Und dass das wichtigste Mittel in einer Selbstverteidigung schlicht und einfach Distanz, sprich: Abstand, ist.
Es ist Teil der üblichen Übergriffs-Logik, dass der (oder die) Angreifer ein Opfer sucht, keinen Gegner. Für den Verteidiger gilt also, dass er im Kopf des Angreifers den Eindruck entstehen lassen muss, dass er sich getäuscht hat und kein Opfer vor sich hat, sondern einen Gegner: Die eigentliche Selbstverteidigung spielt sich auf mentaler, psychischer Ebene ab, nicht auf physischer.
Daher reicht eine Art notwendiger Minimalismus – soviel, dass der Gegner von seinem Vorhaben ablässt und sich zurückzieht; dass Zeit gewonnen wird, dass Dritte sich einmischen und helfen, dass sich für uns selbst die Chance öffnet, abzuhauen, sich ins Fahrzeug zurückziehen (ein Laster ist ja schließlich so etwas wie eine „Festung“) und wegzufahren etc.
Dazu liegt es auf der Hand, dass der Angreifer umso gefährlicher wird, je näher er mir rückt. Mit einem stockähnlichen Gegenstand kann man meist gut drohen bzw. „imponieren“, gut Angriffe blockieren und nötigenfalls zur Gegenattacke übergehen – aber vor allem durch schnelle, wiederholte Stockstiche zur Hals-Kopfregion Abstand schaffen.
Besonders im Falle von Messerangriffen gilt:
1. Distanz, 2. Distanz, 3. Distanz!
Auch raten wir dringend davon ab, selbst Messer zur Verteidigung mit sich zu führen bzw. an den Einsatz auch nur eines Küchenmessers in der Selbstverteidigung zu denken. Die Zwangslogik des Messerkampfes besagt schlicht und einfach: In der kaum zu vermeidenden Eskalation werden beide Akteure mindestens schwer verletzt.
Wohl aber habe ich eine Chance, wenn ich mit Hilfe eines stockartigen Gegenstandes den Angreifer auf Distanz halten kann.
Effektive Selbstverteidigung mental üben
Es hilft, nach Art eines mentalen Films im „Kopfkino“ mögliche bzw. erwartbare Konfliktsituationen ganz konkret durchzuspielen: Wenn der Angreifer dieses oder jenes sagt oder macht, wie werde ich reagieren? Wenn dieses oder jenes passiert, was werde ich machen?
Diese Reaktion immer wieder geistig ablaufen lassen und so in die unterbewussten Teile des Gehirns einprogrammieren, erhöht die Erfolgschancen beträchtlich.
Das wichtigste Mittel in der Selbstverteidigung ist freilich die Wahrnehmung – ohne Wahrnehmung, Wachheit, Aufmerksamkeit auf das Geschehen um einen herum gibt es keine Selbstverteidigung.
Das zweitwichtigste Mittel ist das Vertrauen auf das Bauchgefühl („Intuition“) – evolutionsbiologisch gesehen verfügen wir noch über ein paar archaische Rest-Instinkte für Gefahr und Problemsituationen. Also wenn die innere Stimme flüstert, dass es Zeit wäre, zu gehen, dass es besser wäre, den Standplatz zu wechseln – dann auf sie hören!
Das drittwichtigste Mittel ist Zurückhaltung, defensives Verhalten, niedriges Ego. Man überlege: Wer sich vom Angreifer in dessen taktisches Spiel der Anmache und Provokation hineinziehen lässt, gibt die Kontrolle der Situation in die Hände des Aneigreifers – und ist das letztlich nicht demütigender als zurückzuweichen und Beleidigungen, Anspucken o.ä. ohne Gegenreaktion zu ertragen?
Vielen Dank Oliver für diesen Gastartikel.
Möchtest du mehr über Beate, Oliver und/oder Krav Maga erfahren?
Auf der Website des Krav Maga Center Frankfurt/Rhein-Main findest du noch mehr Infos zur Selbstverteidigung.
Und hier ist Reiseblog von Beate und Oliver: Das Amphibium
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Selbstverteidung für Reisende
Wie wichtig ist das Thema Selbstverteidigung für dich als Reisender? - 10
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Auf einer Skala von 1 bis 5: Wie wichtig ist das Thema Selbstverteidigung für dich als Reisender?
Ist sicherlich effektiv … aber schade, dass so etwas für Reisende überhaupt ein Thema sein muss!